Die Gemeindebücherei Wannweil feiert 2014 ihr 90-jähriges Bestehen

Ein Beitrag der Geschichtswerkstatt Wannweil

In der maschinengeschriebenen Zanzinger-Chronik von 1935, dem unveröffentlichten Standard-Werk der Wannweiler Ortsgeschichte, findet sich ein Hinweis, dass die Gemeinde- oder Ortsbücherei 1924 von Oberlehrer Michael Saur ins Leben gerufen wurde. Eine so wichtige Angelegenheit ist natürlich im Gemeinderat erörtert worden, schließlich war Oberlehrer Saur, der manchen älteren Wannweilern noch persönlich bekannt ist, auch Mitglied dieses Gremiums von 1924 bis 1933.

Zur Gründung der Ortsbücherei Wannweil im Oktober 1924

Oberlehrer Michael Saurs überdurchschnittliches Engagement als Pädagoge fand in der Initiative zur Gründung der Ortsbücherei ihren Ausdruck. So findet sich unter dem 8. Oktober 1924 in den handgeschriebenen Gemeinderats­protokollen (Band B 335), dass auf Vorschlag von Oberlehrer Saur eine Gemeindebücherei eingerichtet werden soll. Das Inventar der Bücherei soll nur aus neuzeitlichen Büchern bestehen. In den dem zugehörigen Band B 127 – Rechnungsbelege aus dem Jahre 1924 – fanden sich die Statuten eines neu gegründeten Lesevereins. Bereits am 24. April 1925 nimmt der Gemeinderat zur Kenntnis, dass die Gemeindebücherei allgemein sehr gut besucht wird. Leider geht aus den Gemeinderatsprotokollen nicht hervor, an welchem Ort sich die Ortsbücherei befand.

Leseordnung der Gemeindebücherei Wannweil vom 9. Oktober 1924

Am 9. Oktober 1924 stellte der Wannweiler Oberlehrer Saur folgende „Leseordnung der Gemeindebücherei Wannweil“ auf: (hier gekürzt veröffentlicht):

  • Mitglied kann jeder Einwohner der Gemeinde Wannweil werden, sofern er sich zur Einhaltung der Leseordnung verpflichtet.
  • Die Aufnahme erfolgt gegen eine einmalige Gebühr von 25 Pfennigen.
  • Eine Leihgebühr wird nicht erhoben.
  • Die Leihfrist beträgt 4 Wochen.
  • Mit der Entleihung verpflichtet sich der Leser, die Bücher schonend zu behandeln, jedes Einschreiben zu unterlassen und nicht mit angefeuchteten Fingern umzublättern.
  • Die Bücher sind in Papier einzuschlagen und im Einschlag zurückzubringen.
  • Der Leiter der Bücherei ist verpflichtet, Leser, welche die Leseordnung nicht einhalten, von der Benützung der Bücherei auszuschließen.
  • Kommt dem Entleiher ein Buch abhanden, geht es verloren oder wird es unbrauchbar, so ist er verpflichtet, es neu zu ersetzten.

Am 2. März 1925 wird vermerkt, dass an Beiträgen von 68 Lesevereins-Mitgliedern 17 Reichsmark eingegangen sind und in die Gemeindekasse eingezahlt wurden.

Buchtitel, die 1924 für die Gemeindebücherei beschafft wurden

Durch die Rechnungen aus dem Jahr 1924, die im Gemeindearchiv Wannweil im Original erhalten geblieben sind, können wir uns ein Bild machen aus welchen Buchtiteln die Erstausstattung der Gemeindebücherei Wannweil bestand. Die meisten Titel sind auch 2014 noch bekannt.

Schon am 8. August 1924 wurden folgende Bücher geliefert: Storm, „Novellen“. Da war sicher der legendäre „Schimmel­reiter“ dabei. Alexis, “Der Werwolf“, Mörike Erzählungen. Dieser Band erhielt die Inventar-Nr. A 51, wie Hauptlehrer Saur fein säuberlich auf der Rechnung vermerkte. Gottfried Keller, „Die Leute von Seldwyla“, Ludwig, „Die Heiterethei“. Jedes Exemplar kostete 2 Mark.

Am 21. August. 1924 wurden aus dem Alt-Buchhandel geliefert: Beecher-Stove, „Onkel Toms Hütte“, Bulwer, „Die letzten Tage von Pompeji“, Cooper, „Der Wildtöter“, Dickens, „Oliver Twist“, Eckstein „Humoristischer Hausschatz“, Hauffs bekannter Roman „Lichtenstein“ erhielt die Inventarnummer A 31. Martin: „Deutsches Heimatglück“, Mügge, „Der Vogt von Sylt“, Scheffel „Eckehart“, Tolstoi, „Die Auferstehung“, Daniel Defoe „Robinson Crusoe“, welches einst jeder Junge las.

Am 4. Februar 1925 kam ein Buch „Die Amerikafahrt“ für 3 RM hinzu. Am 27. Januar 1925 lieferte die Franckh´sche Verlags­buchhandlung Stuttgart das Exemplar „Der praktische Radio-Amateur“ für 5,50 RM. Damals steckte die Entwicklung des Radios noch in den Kinderschuhen! Am 26. Mai 1925 wurden für das Exemplar „Herz der Heimat“ 5,50 Mark in Rechnung gestellt. Diese nun fast 90 Jahre alten Rechnungen dokumentieren den Anfangsbestand der Gemeindebücherei Wannweil. Natürlich haben diese ersten Bücher die Zeitenläufe nicht überdauert.

Die Jahre 1933 und 1945 sollten wesentliche Einschnitte in den Buchbestand der Gemeindebücherei Wannweil bringen. Ab Mai 1933 wurde die Ortsbücherei von Büchern marx­istischen Inhalts gesäubert. Konkrete Maßnahmen dieser Art sind im Gemeindearchiv nicht dokumentiert. Der Mitverfasser B. Walldorf weiß jedoch von einer anderen, Jahrzehnte nicht mehr genutzten Ortsbücherei, dass die Beschaffung kriegs­verherrlichender Literatur mit zunehmender Dauer des Zweiten Weltkrieges inflationsartig anstieg.

Am 28.Juli 1944 beschäftigt sich der aus 6 Nationalsozialisten bestehende Gemeinderat mit der Ortsbücherei.

„Die hiesige Ortsbücherei liegt schon seit etlichen Monaten ohne jegliche Pflege und Weiterführung im Adolf-Hitler-Haus. (heutiges Gemeindehaus). Gerade in der jetzigen Zeit, wo alle Kräfte bis zum Letzten eingespannt sind, wäre es sehr erwünscht, sich mit einem guten Buch einige Abendstunden verschönern und dadurch einige Stunden Entspannung finden zu können. Herr Karl Rein hat sich bereiterklärt, die Bücherei wieder in Ordnung bringen zu wollen und auch die Ausgabe der Bücher an die Bevölkerung zu übernehmen“. Nach Beratung mit den Gemeinderäten fasst der stv. Bürgermeister die Entschließung:

  1. Herrn Karl Rein im Adolf-Hitler-Haus die Pflege und Weiterführung sowie die Anlegung einer Kartei und die Ausgabe der Bücher an die Bevölkerung zu übertragen.
  2. Ihm für diese Tätigkeit monatlich 10 RM Entschädigung zu bezahlen“.

Nach dem Umsturz ist die Ortsbücherei Gegenstand folgender Verfügung vom 29. November 1945:

Die hiesige Ortsbücherei wurde in Ausführung des Erlasses des Reutlinger Landrats vom 14.10.1945 betr. Säuberung der Büchereien von nationalsozialistischen und militaristischen Einflüssen einer Überprüfung unterzogen. Die Ortsbücherei wurde durch Erlass des Herrn Landrats vom 11. Nov. 1945 freigegeben. Es ist nunmehr empfehlenswert, dass die Lesegebühr im niederen Rahmen gehalten wird, damit jedermann in der Lage ist, die Bücherei in Anspruch zu nehmen. Als Büchereiverwalter ist der Verwalter des Gemeindehauses Rein vorgesehen. Der kommissarische Leiter der Außenstelle (Wannweil) verfügt:

  1. Die Lesegebühr pro Buch auf RM -.15 festzusetzen. Der Verwalter Rein hat die Gebühren monatlich abzurechnen. Die Gebührenkontrollen werden von Fall zu Fall durch ap. Stadtinspektor Schill durchgeführt.
  2. Dem Verwalter Rein für seine Tätigkeit eine monatliche Belohnung von 10 RM aus zu setzen.

Bekanntlich gehörte Wannweil von Mai 1945 bis 1948 mit zahlreichen weiteren Umlandgemeinden, insbesondere Pfull­ingen, zur Stadt Reutlingen.

Nach dem 2. Weltkrieg gab es in Wannweil noch weitere Büch­er­eien. Die Schülerbücherei war zunächst im alten Schulhaus Eisenbahnstraße untergebracht, bevor sie 1957 in die Uhland­schule umgezogen ist und dort bis Mitte der 60-er Jahre bestand. Die Evangelische Kirche hatte auch eine Bücherei mit regelmäßigen Ausleihzeiten, diese wurde Ende 1994 mangels Besucher aufgegeben, obwohl jedes Jahr aktuelle Bücher angeschafft wurden. Beim Schreibwarenhändler und Buch­drucker Karl Eissler konnte man im Ladengeschäft auch eine Zeit lang Bücher ausleihen. In den Zeiten, als der Fernsehempfang mit nur einem Programm sogar ein Luxus war, wurde viel gelesen.

Natürlich kann nicht mehr nachvollzogen werden, welche Personen in den 90 Jahren die Bücherei leiteten. Mit Schreiben vom 31. Juli 1979 an Bürgermeister Scherret und den Gemeinderat, tritt der frühere Bürgermeister Willy Obermüller (Lebenszeit 1899 bis 1984, Dienstzeit als Bürgermeister 1949 bis 1966) als langjähriger Büchereileiter zurück. Was über Jahrzehnte hinaus genau geführt wird bis heute, ist die Benutzerstatistik. Damit kann die Ortsbücherei stets ihre Existenz nachweisen. Obermüller stellt 1979 fest: „Die etwas geringe Zahl der Erwachsenen, insbesondere der Männer, erklärt sich aus der beruflichen Inanspruchnahme sowie in Haus und Garten und der Tätigkeit in den Vereinen.“

Beim Umzug ins neue Rathaus im Oktober 1996 erhielt die Gemeindebücherei eine neue Ausstattung und großzügige Räumlichkeiten. Sie erfreut sich nach wie vor großer Beliebtheit. 14.985 Medien und drei Mitarbeiterinnen stehen an drei Tagen wöchentlich zur Verfügung. Rund 1800 Besucher kommen jedes Jahr in den Genuss unterschiedlichster kultureller Veranstaltungen.

Aus diesen Quellen lässt sich nachweisen, dass die Ortsbücherei seit 1936 bis 1996 (Umzug ins neue Rathaus) im Gemeindehaus untergebracht war. Die Probleme in den 90 Jahren waren eigentlich immer dieselben: Aktualisierung des Buchbestandes, Finden eines geeigneten Leiters und Werbung für die Nutzung der Ortsbücherei.

BüchereiGemeindehaus

Gemeindebücherei 1992 im Untergeschoss des Gemeindehauses mit der damaligen Büchereileiterin Ulla Bender

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