Volkstrauertag 2016 – Über die Bedeutung der Kommunalgeschichte

Über die Bedeutung der Kommunalgeschichte für die Erforschung des Schicksals Wannweiler Soldaten in beiden Weltkriege

von Walter Ott und Niels Joeres*

b-145-bild-00278767_1052

Käthe Kollwitz: Trauernde Mutter mit totem Sohn in der „Alten Wache“, der zentralen deutschen Gedenkstätte für die Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft in Berlin, ©Bundesbildstelle/Steffen Kugler, B 145 Bild-00278767.

Historia magistra vitae: Die Geschichte ist eine Lehrmeisterin des Lebens und für das Leben. Oft gewährt sie Schutz vor allzu einfachen Antworten – und damit auch vor uns selbst.

Unser gemeinsames Gedenken, mit dem wir am Volkstrauertag regelmäßig auch mit viel persönlichem Leid an unsere Toten und Millionen anderer erinnern, führt diese zeitlose Erkenntnis weiter. Seit diesem Jahr gewinnt das Gedenken an die Opfer von Krieg und Gewalt zudem europapolitisches Gewicht: Zum einen hat eine unerwartet große internationale Öffentlichkeit die Erinnerung an den 100. Jahrestag der Schlacht von Verdun in Fleury-devant-Douaumont, an der erstmalig über 4000 deutsche und französische Jugendliche aktiv teilnahmen, live im Fernsehen verfolgt. Ebenso dadurch tauchen verstärkt neue, zumeist ganz persönliche Quellen zum Ersten Weltkrieg auf, vor allem auf kommunaler Ebene. Zum anderen haben sich durch das Internet die technischen Möglichkeiten, sich heute über das Schicksal deutscher Soldaten im Zweiten Weltkrieg näher oder neu zu informieren, weiter verbessert. Die Online-Datenbank des Volksbunds zählt am 13. November 2016 insgesamt 4.738.613 Einträge. Die Arbeit der „DD-WASt“ in Berlin, der Dienststelle für die Benachrichtigung von Angehörigen ehemaliger Wehrmachtssoldaten wird weiter professionalisiert. Und ebenfalls die in ihrer Wirksamkeit recht neuen völkerrechtlichen Verträge der Bundesrepublik mit osteuropäischen Staaten sowie mit Russland zur Zusammenarbeit bei der Kriegsgräbersuche und –pflege ermöglichen es Betroffenen heute, rund 60 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs, leichter, zuverlässiger und schneller präzise sachdienliche Unterstützung bei ihren eigenen Recherchen erhalten. Für Familienangehörige von Gefallenen oder Vermissten bilden dabei oft auf den ersten Blick so einfach erscheinende Grunddaten wie z.B. die genaue militärische Einheit oder auch die exakten Angaben der Erkennungsmarke die wichtigste Basis für ihre Nachforschungen.

Darüber hinaus spielt bei der Erforschung der Schicksale einzelner Soldaten mehr und mehr die Regional- und Kommunalgeschichte eine wichtige Rolle. Denn gerade durch die Sichtung und Sicherung bislang unbekannter persönlicher privater Quellen, die einen gleichen oder ähnlichen Ortsbezug haben, sowie durch eine fundierte Auswertung kirchlicher Quellen verbreitert sich die Kenntnis darüber, was wirklich passiert ist – sowie wo und wie. Hinzukommen die zahlreichen, heute vorliegenden militärgeschichtlichen Gesamtdarstellungen ausgewiesener Historiker und Forschungseinrichtungen, die inzwischen eine Vielzahl der Schlachten sowie die Geschichte ganzer Heeresgruppen und Verbände analysieren. All das kann die eher spärlichen und oft ungenauen oder unzureichenden Informationen, die sich beispielsweise in vielen Vermisstengutachten bis weit in die 1990er Jahre spiegeln, möglicherweise entscheidend präzisieren und ergänzen.

Ein Beispiel in diesem Zusammenhang ist das von der Geschichtswerkstatt Wannweil eingesehene, aber bisher wenig beachtete „Sterbebuch des Pfarramts Wannweil“, das wichtige Informationen zu einzelnen Gefallenen sowie zur Gemeindegeschichte und Trauerkultur während des Zweiten Weltkrieges insgesamt enthält. So wurde dem wohl ersten Gefallenen der Gemeinde Wannweil, Adolf Hoch, am 7. September 1941 mit einem Trauergottesdienst gedacht. Dem sollten bis zum Januar 1944 insgesamt 41 weitere Gedenkgottesdienste für gefallene Wannweiler Soldaten folgen. Über den dritten Soldatenverlust der Gemeinde, Rupert Steininger, der rund zwei Monate vor seinem Tod am 17. September 1941 mit seiner Frau Anna Huber „ferngetraut“ worden war, werden wir in einer Fortsetzung dieses Beitrags näher berichten. Bei seinem Gedenkgottesdienst am 26. Oktober 1941 spielte der Wannweiler Musikverein „Morgenrot“ und: „Ich hatte einen Kameraden“.

Fest steht, dass zahlreiche weitere Schicksale bis heute nicht wirklich aufgeklärt sind. Dies gilt natürlich und insbesondere für als „vermisst“ gemeldete Soldaten, die folgerichtig auch im Sterbebuch des Pfarramts Wannweil nicht erwähnt werden. Darunter sind Familiennamen, die sowohl in der Geschichte Wannweils wie in der neuzeitlichen baden-württembergischen Landesgeschichte allgemein eine zum Teil bedeutende Rolle gespielt haben. Beispielsweise ist der Nachname Brucklacher in auffällig häufigem Maße unter den gefallenen deutschen Soldaten sowohl des Ersten wie des Zweiten Weltkriegs zu finden. Im heutigen Landkreis Reutlingen wurden Brucklachers im Auftrag der Lehnsherrn jahrhundertelang zu Schultheisen ernannte, denen damit vielfach auch die lokale Gerichtsbarkeit unterlag. Schon eine spontane Gräbersuche auf den Internetseiten des Volksbunds weist vierzehn Gefallene „Brucklacher“ aus, die im Ersten Weltkrieg (4) oder im Zweiten Weltkrieg (10) getötet wurden. Allein aus dem Raum Reutlingen, Stuttgart und Böblingen ist das Schicksal von mindestens drei weiteren Soldaten mit dem Nachnamen Brucklacher verzeichnet.

Dazu zählt auch der bis heute als vermisst geltende Adolf Brucklacher, geboren am 14. Oktober 1907 in Wannweil, der im Oktober 1944 von unserer Gemeinde aus über Pforzheim und mittels einer mehrtägigen, beschwerlichen Ostsee-Schifffahrt nach Libau ins heutige Lettland versetzt wurde. Er starb vermutlich zwischen dem 17. und 19. November 1944 in der zweiten „Schlacht um Kurland“ und dürfte einer der letzten Wannweiler Soldatenopfer gewesen sein. Sein Grab auf dem Wannweiler Friedhof ist immer noch leer, ebenso wie das seines dreizehn Jahre jüngeren Bruders Paul, dessen tatsächliches Grab nach heutigen Kenntnissen nahe des Dorfs Perschotrawnewe, etwa 200 Kilometer nordwestlich von Kiew liegt.

Diese Beispiele führen uns zur Bedeutung der Kommunalgeschichte hier vor Ort zurück: Seit 2014 hat sich die ehrenamtliche Geschichtswerkstatt Wannweil zum Ziel gesetzt, sinnvolle und aussagekräftige Quellen zur Geschichte der Gemeinde Wannweil aus allen Jahrhunderten und Jahrzehnten mit zusammenzutragen, zu systematisieren und in Bezug auf ausgewählte Themen zu dokumentieren. So wurde die bildstarke Ausstellung über die Geschichte des Ersten Weltkriegs im Rathaus ein anerkannter Erfolg. Eine vielfach größere Herausforderung stellt jedoch insbesondere auch die Erforschung der Wannweiler Soldaten im Zweiten Weltkrieg dar. Da sich gerade aus privaten Kriegserinnerungen wichtige Informationen ebenso über andere Wannweiler Soldaten ableiten lassen, wäre es deshalb wünschenswert, das Gemeindearchiv ebenso in dieser Hinsicht weiter zu „stärken“. Dies kann zum Beispiel geschehen, indem ausgewählte und vielleicht unscheinbar wirkende persönliche Unterlagen, Briefe, Bilder und Tagebücher aus der Zeit vor 1945 zu einer ersten Sichtung und etwaigen Systematisierung direkt an das Gemeindearchiv übergeben oder ausgeliehen werden.

Vor diesem Hintergrund möchten die Wannweiler Geschichtswerkstatt und Volksbund alle Bürgerinnen und Bürger bestärken, sich in die Erforschung der Geschichte Wannweils angesichts der Tradition Volkstrauertag mit einzubringen. Um die lokale Geschichteforschung weiter zugunsten unserer selbstbewussten und eigenständigen Gemeinde weiter zu intensivieren. Ziel ist, bei künftigen Gedenkfeiern für die Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft in den nächsten Jahren ab und an auch bis dato unbekannte Erkenntnisse über gefallene oder vermisste Wannweiler Soldaten den offiziellen politischen bzw. geistlichen Redebeiträgen hinzuzufügen. Diese individuellen Beiträge zum Volkstrauertag könnten und werden dann unsere Gebete ergänzen und den unmittelbaren Bezug zu unserer Heimatgeschichte ebenfalls gut veranschaulichen.

*Walter Ott ist einer der Gründungsmitglieder der Wannweiler Geschichtswerkstatt und macht sich seit vielen Jahren mit einer Vielzahl von Beiträgen im Rahmen der Erforschung der Geschichte der Gemeinde Wannweil verdient. Dazu zählen u.a. seine Mitarbeit bei der Ausstellung „Wannweil im Ersten Weltkrieg“, seine zahlreichen genealogischen Einzelforschungen zu einzelnen Wannweiler Familiennamen sowie im letzten April die große öffentliche Dokumentation über die Geschichte der Alten Spinnerei.

*Dr. Niels Joeres ist seit kurzem neuer ehrenamtlicher Beauftragter des Volksbunds Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V. innerhalb des Bezirksverbands Süd-Baden und Süd-Württemberg, mit den persönlichen räumlichen Schwerpunkten Wannweil, Reutlingen und Tübingen.